Der Zug durchdrang sich durch die verlassene Wartehalle des Provinzbahnhofs. Irina hat ihre vierjährige Tochter enger in ein Kopftuch gewickelt. Katja, die sich an ihre Mutter kuschelte, lag auf einer harten Bank, ihr Atem setzte sich mit kleinen Dampfwolken in der kalten Luft ab. Hinter den staubigen Fenstern tobte ein Schneesturm, der Portionen Eisgetreide auf das Glas stürzte. Der ganze Raum außerhalb dieser düsteren Halle schien fremd, feindlich und rücksichtslos kalt zu sein.
In einem alten Rucksack — ihrem einzigen Eigentum — lag das letzte Brötchen und ein paar zerknitterte Scheine. Ein Ticket zum nächsten Bahnhof würde ausreichen, aber wohin soll ich gehen? Niemand hat irgendwo auf sie gewartet. Irina hat für ihre Tochter das größte Stück abgebrochen, aber sie hat nur eine trockene Kruste hinterlassen. Es gab keinen Appetit, es gab eine Bitterkeit der Verzweiflung im Mund. Vor ein paar Tagen hatten sie wenigstens ein Dach über dem Kopf — sei es wackelig, aber immer noch. Und jetzt — nur diese Eisbank und das Heulen des Windes vor dem Fenster.
Irina starrte verstreut auf das schmutzige Glas, als sich der Wirbel von Schneeflocken und das schwache Licht der Laternen plötzlich zu vertrauten Merkmalen entwickelten. Eine Frau ging am Fenster vorbei — schlank, grau, gebeugt unter dem Winddruck. Es war Margarita Andrejewna … die ehemalige Schwiegermutter. »Es ist vergangen», flüsterte Irina und schloss die Augen. «Vor Hunger und Müdigkeit. Halluzination».
Aber das konnte keine Fiktion sein. Denis, ihr Ex-Mann, hat die Frau, die ihn großgezogen hat, vor langer Zeit in ein Pflegeheim geschickt. Er war immer bereit, die Schwachen loszuwerden. Nach der Scheidung wandten sich alle Verwandten von Irina ab, als wäre sie aussätzig. Nur eine Margarita Andrejewna half weiter: Sie würde Milch geben, sie würde warme Dinge für Katja bringen, sie würde sie einfach umarmen und freundliche Worte sagen. Ihre Teilnahme war für Irina ein feiner Faden, der die Beziehungen zur Menschlichkeit nicht abbrechen ließ.
Jetzt entstand das Bild dieser Frau als Vision, als wäre es ein Geist aus einer verlorenen Vergangenheit. Die Erinnerung hat das Bild der letzten Demütigung wiederbelebt: Irina, erschöpft, auf ihren Knien, wäscht den Boden in der Wohnung einer reichen Gastgeberin. Larissa — kalt, selbstbewusst in ihrer Überlegenheit — sieht die Arbeit mit Verachtung an:
— Schmutzig. Bist du blind? Ich werde das nicht bezahlen.
—Ich bitte Sie … Ich habe ein Kind», bat Irina und verlor ihre letzte Kraft.
«Jeder hat Probleme», schnitt die Frau ab. — Igor! Bring sie hin.
Ihr Sohn kam aus einem anderen Raum heraus — groß, locker, mit einem leeren Blick. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er Irina bei der Hand und schob sie fast aus der Tür. «Eine erbärmliche Matratze», blitzte sie in ihrem Kopf auf. «Er sitzt bei Mama um den Hals und kann nicht einmal nein sagen.«
Die Tür schlug zu. Sie blieb in einem dunklen Eingang, mit leeren Händen und einer eisigen Leere im Inneren.
Nachdem sie ihre Nachbarn um Hilfe gebeten hatte, stieß Irina auf Gleichgültigkeit. Einige ließen ihre Augen weg, andere rieten, zu ihrem Ex-Mann zurückzukehren. Aber der Gedanke an Denis löste Angst aus — seine betrunkenen Wutanfälle, Drohungen, ein wilder Glanz in seinen Augen … Nein, um Hilfe zu bitten, ist wie in die Arme eines Raubtiers zu fallen.
Und hinter dem Rücken haben sie bereits geklatscht: — Gib das Mädchen ins Waisenhaus zurück. Dort wird zumindest gefüttert und angezogen. Vielleicht wird es ihr dort sogar besser gehen…
Diese Worte sind schmerzhafter als jede Ohrfeige. Besser ohne Mutter? Irina schnappte sich die schlafende Katja, legte ihren Rucksack auf die Schulter und ging in die gelernte Nacht hinaus. Das einzige Versteck war der Bahnhof.
Während sie auf einer kalten Bank saß und ihre Tochter umarmte, überlegte Irina: Warum gibt es in dem riesigen Land keine Schutzräume für Mütter mit Kindern, die auf der Straße gelandet sind? Warum sind Leute wie Larissa, die alles haben, so grausam gegenüber denen, die nichts haben? Ist Mutterschaft, diese harte und selbstlose Arbeit, nichts wert?
Ihre Gedanken wurden von der Stimme eines diensthabenden Polizisten unterbrochen — einem müden, grauäugigen Mann namens Semyon:
— Was sitzt ihr da? Hier kann man nicht übernachten.
—Es gibt nirgendwo zu gehen», antwortete Irina leise. — Das Baby friert ein.
Der Mann schwieg, seufzte und ging. Nach zehn Minuten kehrte er zurück und streckte ihr ein Päckchen aus. Darin befanden sich warme Pasteten mit Kartoffeln und eine Flasche Kefir. Während Irina das Essen dankbar annahm, steckte er ihr unbemerkt einen zerknitterten Schein in die Tasche.
Sie tat so, als hätte sie nichts bemerkt. Ich habe den Kuchen zerbrochen — den größten Teil gab ich der aufgeweckten Katja. «Manchmal kommen die wärmsten Worte und Hilfe nicht von Verwandten, sondern von zufälligen Menschen», dachte Irina und schaute dem Polizisten nach. Er ging etwas zur Seite, ging aber nicht ganz weg — indem er sie mit seiner Anwesenheit vor störenden Passanten beschützte. Dieser unscheinbare Mann wurde in dieser langen, eisigen Nacht zu ihrem unauffälligen Schutzengel.
Am frühen Morgen, als der Bahnhof aufwachte, schüttelte jemand Irina vorsichtig an der Schulter. Sie öffnete ihre Augen — eine Frau stand vor ihr, die sie gestern nur für eine Halluzination hielt.
— Und das Mädchen? Katjuscha? Wie sind Sie hier gelandet? — in der Stimme von Margarita Andrejewna mischten sich Überraschung und Schmerz.
Sie umarmten sich. Irina, die lange Tage Schmerzen und Tränen in sich hatte, konnte es nicht ertragen — bittere Tropfen strömten mit einem Bach aus ihren Augen. Verwirrend, zwischen den Schluchzen, begannen sie, sich gegenseitig ihre Geschichten zu erzählen. Es stellte sich heraus, dass Denis Margarita Andreevna tatsächlich in ein Pflegeheim geschickt hatte und unfähig war, die Wohnung in Besitz zu nehmen. Nur dank einer alten Freundin, Valentina Semenovna, konnte die Frau von dort weggehen. Jetzt machten sie sich auf den Weg zu ihr — in eine andere Stadt, in der sie von neuem anfangen wollten.
— Wie hast du diesen Mann kontaktiert, Iot? sie flüsterte Margarita Andrejewna zu und streichelte sie liebevoll über ihr Haar.
Irina hat nachgedacht. Vor den Augen entstand die Vergangenheit: ein Waisenhaus, Einsamkeit, Angst vor jedem neuen Tag. Denis schien ihr damals eine Stütze zu sein, eine Rettung, eine Gelegenheit, eine Familie zu finden. Sie wollte so sehr Liebe, Wärme, Fürsorge … Und als Katya geboren wurde, war sie sich sicher — das ist es, das wahre Glück. Wie falsch war…
Die Überlegungen wurden von einer energischen Frau unterbrochen, die sechzig Jahre alt war, mit einem hellen Kopftuch und lebenden Augen. Sie kam mit einem gutmütigen Lächeln heran.
— Also, Margot, hast du deine gefunden? Ich sagte doch— das Herz wird nicht täuschen!
Es war Valentina Semenovna. Sie begrüßte Irina und Katya herzlich, als hätte sie sie schon lange gekannt.
— Packen Sie sich zusammen, Mädchen. Sie kommen mit uns. Es gibt genug Platz für alle. Und Ihre Probleme sind schon meine Probleme. Ich habe, wissen Sie, Verbindungen, die so sind, dass es sich auch für den Minister nicht schämt, anzurufen! sie winkt ab. — Übrigens, Semyon war heute speziell hier im Dienst. Er ist mein Neffe, und er würde Sie niemandem beleidigen lassen.
Semyon, der Polizist, der ihnen am Tag zuvor geholfen hat, lächelte verlegen und nahm ihren Rucksack vorsichtig mit. Der Zug bewegte sich und nahm sie vor Kälte, Angst und Hoffnungslosigkeit weg. Das Unbekannte wartete voraus, aber zum ersten Mal schreckte es nicht ab — es gab Hoffnung.
Die Wohnung von Valentina Semenovna erwies sich als geräumig und gemütlich. Sie nahm sie sofort als Verwandte an. Die Energie dieser Frau war erstaunlich — buchstäblich einen Tag lang hat sie einen Aktionsplan erstellt. Am nächsten Morgen drehte sich bereits die juristische Maschine, die Irina dabei half, Dokumente für das Förderprogramm für Kinderheimabsolventen zu sammeln und sie für den sozialen Wohnungsbau in die Warteschlange zu stellen.
Ein paar Monate später kam die Nachricht von Denis. Nachdem Margarita Andrejewna ihre Rechte zurückgegeben hatte, verlor er schließlich die Kontrolle. Ich habe mehr getrunken als früher, und eines Tages wurde seine Leiche auf der Straße gefunden — entweder vor Schläge oder vor Kälte. Irina erfuhr davon mit kalter Gleichgültigkeit. Für sie hat dieser Mann längst aufgehört zu existieren.
Valentina half Margarita Andrejewna, den von ihr gestellten Anteil des Eigentums zu verklagen, und dann teilten die Frauen ehrlich alles auf, indem sie einen Teil auf den Namen ihrer Enkelin, Katja, abmeldeten.
Nach und nach ging das Leben in eine Furche. Margarita und Irina wurden zu einer echten Familie. Sie führten gemeinsam einen Haushalt, kümmerten sich um das Kind, unterstützten sich gegenseitig. Der allgemeine Schmerz und die Freude haben sie stärker gebunden als die Verwandtschaftsbande.
Semyon begann oft zu besuchen. Er brachte Katja Spielzeug mit, spielte mit ihr und sah Irina mit einer Wärme an, die er nicht mehr verbarg. Valentina beobachtete sie, indem sie sie anrief:
— Nun, Toffee, das Schicksal hat dir einen solchen Assistenten gegeben — einen goldenen Mann. Vergiss es nicht!
Irina war verwirrt, aber sie fühlte, wie in ihrem Herzen, das von Schwierigkeiten zerquetscht war, etwas Helles und Neues wieder erwachte.
Etwas mehr als ein Jahr ist vergangen. Das Jahr, das ihr Leben verändert hat. Irina hat eine kleine, aber gemütliche Wohnung bekommen. Margarita Andrejewna verkaufte ihren Anteil und kaufte ein Haus in der Nähe, um immer in der Nähe zu sein. Katja ging in einen neuen Kindergarten und fand schnell Freunde.
An einem der ersten Herbstabende machte Semyon Irina ein Angebot. Die Hochzeit wurde bescheiden gespielt — nur die nächsten. Aber an diesem Tag schien es, als würde sich die ganze Welt mit Licht und Liebe aufwärmen. Margarita Andrejewna und Valentina Semenowna, die Tränen versteckten, sahen das Brautpaar mit mütterlichem Stolz an. Und die glücklichste bei der Feier war Katja — sie wirbelte in einem weißen Kleid herum und wiederholte jedem: «Ich habe jetzt den besten Vater der Welt!»
Eines Abends hörte Irina, wie ihre Tochter zu einer Freundin sagte: «Wenn ich groß bin, werde ich Anwalt. Wie Tante Valya. Ich werde denen helfen, die in Schwierigkeiten sind.
Margarita Andrejewna und Valentina Semenowna haben bereits Pläne gemacht — sie diskutierten, wie man in der Wohnung von Irina am besten ein Kinderzimmer macht. Sie waren sich sicher, dass bald ein weiteres Baby in einer großen und liebevollen Familie sein wird.
Eines Tages versammelten sich alle bei einer Tasse Nachmittagstee, als Katja bereits schlief, in der Küche. Irina, die sich um ihre Retter kümmerte, sagte:
— Ich habe eine Sache verstanden. Das wahre Gut macht keinen Lärm und erfordert keine Dankbarkeit. Es kommt einfach in dem Moment an, in dem es scheint, dass nichts mehr hilft.
In der Stille schwiegen sie, jeder dachte an sein eigenes. Darüber, wie seltsam und überraschend menschliche Schicksale miteinander verwoben sind, wie aus Schmerz, Angst und Verzweiflung ein neues, so wertvolles und zerbrechliches Glück entsteht.