Das Haus stand am Stadtrand — zweistöckig, mit einer breiten Veranda und einem Garten. Tante Valentina hat es Alisa in ihrem Testament hinterlassen. Damals waren viele überrascht. Die Nichte war keine Favoritin, aber das Erbe war im Voraus arrangiert worden.
Alisa stand, nachdem sie die Schlüssel erhalten hatte, lange auf der Veranda. Der kühle Herbstwind zerzauste ihr Haar und ließ sie ihren Schal enger wickeln. Jetzt ist das mein Haus », flüsterte sie, als ob sie befürchtete, die alten Mauern würden eine fremde Stimme hören.
Die kleine Wohnung im Stadtzentrum verkaufte sich schnell. Das verdiente Geld reichte für die Renovierung — nicht luxuriös, aber solide. Alisa hat alles selbst ausgesucht: pastellfarbene Wände, warmer Laminatboden und bequeme Möbel.
«Hilft dir niemand?» fragte der Verkäufer, der grauhaarige Michail Stepanowitsch, als er beobachtete, wie sie selbst Fliesenproben auslegte.
«Wer soll helfen?» Alisa hob die Augen. «Ich bin zweiunddreißig. Ich bin ein erwachsenes Mädchen.»
«Normalerweise kommen Damen mit ihren Männern», lächelte Michail Stepanowitsch. «Die Ehemänner nicken wichtig, obwohl sie von Reparaturen noch weniger verstehen als ihre Frauen.»
Alisa lachte.
«Mit der Ehe hat es für mich nicht geklappt.»
Drei Monate später verwandelte sich das Haus. Ein helles Wohnzimmer mit großen Fenstern, ein gemütliches Schlafzimmer und ein Arbeitszimmer, in dem Alisa Abende mit ihren Lieblingsbüchern verbrachte.
Georgiy tauchte zufällig in ihrem Leben auf. Alisa bestellte Bücherregale für das Arbeitszimmer, und er kam, um Messungen vorzunehmen. Groß, breitschultrig, mit etwas Grau an den Schläfen.
«Ich treffe nicht oft Kunden mit so gutem Geschmack», bemerkte Georgiy und schaute sich die Skizzen an, die Alisa gemacht hatte.
«Jahrelange Arbeit als Innenarchitektin», zuckte sie mit den Schultern. Ich kann das Design kreieren, aber das Zusammenbauen der Garderobe übersteigt meine Kraft.»
Sie lächelten einander an. So begann ihre Beziehung — zuerst vorsichtig, dann selbstbewusster.
Sechs Monate später schlug Georgiy vor. Sie heirateten leise, ohne große Feier. Ihr Zusammenleben im Haus verlief friedlich und stetig.
«Du bist eine tolle Gastgeberin», sagte Georgiy und umarmte Alisa an warmen Sommerabenden auf der Veranda. «Ich hätte nie gedacht, dass ich so glücklich sein würde.»
Aber im Frühjahr änderte sich etwas. Georgiy begann öfter seine Mutter zu erwähnen.
»Weißt du, Mama lebt alleine», sagte er eines Abends beim Abendessen. «Es ist schwer für sie.»
«Du hast nie viel über sie gesprochen», bemerkte Alisa und servierte Suppe.
«Wir haben uns vorher nicht gut verstanden», senkte Georgiy seinen Blick. «Aber jetzt möchte ich unsere Beziehung verbessern. Vielleicht sollten wir sie einladen?»
Alisa zögerte. Einerseits wollte sie ihre Schwiegermutter nicht unbedingt kennenlernen. Andererseits sah sie, wie wichtig es für ihren Mann war.
«Okay», nickte Alisa. «Lass sie kommen.»
Nina Alexandrowna kam eine Woche später an — eine stattliche Frau mit gepflegten Händen und scharfem Blick. Sie lächelte, bewunderte das Haus und lobte ihre Schwiegertochter. Georgiy hat nicht gelogen », sagte sie und probierte den Kuchen, den Alisa gebacken hatte. «Du bist ein wahrer Schatz.»
Ihre Schwiegermutter untersuchte das Haus sorgfältig. Sie schaute in jede Ecke, erkundigte sich nach der Geschichte des Möbelkaufs und inspizierte das Fundament.
Sie erklärte es ganz einfach:
«Nur einfache Neugier. In meinem Alter gibt es nicht viele Unterhaltungen.»
Drei Tage später ging Nina Alexandrowna, nachdem sie Alisa fest umarmt hatte. Bevor sie ging, flüsterte sie zum Abschied:
«Du hast goldene Hände. Pass auf meinen Sohn auf.»
Aber nach Nina Alexandrownas Abreise änderte sich Georgiy. Er wurde nachdenklicher und stiller. Er saß lange Zeit auf der Veranda und starrte in die Dunkelheit. Alisa bemerkte, wie er heimlich die Hausdokumente untersuchte.
«Was ist passiert?» Fragte Alisa eines Abends und setzte sich neben ihn. «Du bist so anders seit dem Besuch deiner Mutter.»
«Nichts», schnappte Georgiy und zog sich zurück. «Ich bin nur müde.»
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«Das ist keine Müdigkeit», berührte Alisa seine Hand. «Du verheimlichst etwas.»
Georgiy zuckte zusammen und stand von der Couch auf.
«Lass mich in Ruhe! Nicht alle Probleme müssen besprochen werden!»
Die Bürotür wurde zugeschlagen. Alisa wurde allein gelassen, verwirrt darüber, was ihren Mann so plötzlich verändert haben könnte.
Die Stille im Haus wurde unerträglich. Zwei Wochen lang ging Alisa wie auf einem «Minenfeld», ohne zu wissen, welcher Satz Georgiys Irritation hervorrufen würde. Die frühen Maimorgen, die sie auf der Veranda teilten, verbrachte sie jetzt alleine mit einer kühlenden Tasse Tee.
Alisas Hände zitterten, als sie sich vor dem Spiegel die Haare strich. Im Spiegelbild sah sie ein hageres Gesicht mit dunklen Ringen unter den Augen.
Alisa fragte ihr Spiegelbild:
«Was ist los? Was habe ich falsch gemacht?»
Ein Klopfen an der Tür ließ sie springen. Alisa schaute auf die Uhr und runzelte die Stirn — es war kaum 10 Uhr morgens an einem Samstag, und sie erwarteten niemanden.
Vor der Haustür stand Nina Alexandrowna mit einem großen Koffer.
«Hallo, Schatz!» ihre Schwiegermutter zwitscherte und umarmte die fassungslose Alisa. «Ich habe beschlossen, dich zu besuchen. Du siehst schrecklich aus, Süße. Alles in Ordnung?»
«Du … hast es nicht bemerkt», murmelte Alisa und trat unwillkürlich zurück in den Flur.
«Ich wollte dich überraschen!» Nina Alexandrowna rollte bereits den Koffer ins Haus. «Ist Georgij zu Hause?»
Wie von Zauberhand erschien Georgiy in der Tür. Sein Gesicht veränderte sich, als er seine Mutter sah — ein Schatten eines Lächelns, das Alisa seit zwei Wochen nicht mehr gesehen hatte. Mama!» Georgiy beeilte sich, Nina Alexandrowna zu umarmen. «Warum hast du keine Nachricht gegeben?»
«So ist es interessanter, Sohn», lächelte seine Mutter. «Sonst hättest du angefangen herumzustürmen.»
Alisa beobachtete diese Szene mit wachsendem Erstaunen. Der Ehemann, der erst gestern ihre Fragen kaum beantwortet hatte, unterhielt sich jetzt lebhaft mit seiner Mutter.
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«Ich mache mir einen Tee», schlug Alisa vor.
«Tolle Idee, Schatz», lächelte Nina Alexandrowna sie herzlich an. «Nach der Reise ist Ihr berühmter Minztee genau das, was wir brauchen.»
Den ganzen Tag verbrachte Georgiy mit seiner Mutter. Sie haben sich im Garten zurückgezogen und lange über etwas geredet. Durch das Küchenfenster sah Alisa, wie Nina Alexandrowna lebhaft gestikulierte, während Georgij mit gesenktem Kopf die Stirn runzelte.
Es wurde Abend. Alisa verbrachte das Wochenende allein und lauschte versehentlich den seltenen Gesprächsfetzen.
Der Sonntag war nicht viel anders als der Samstag. Georgiy und Nina Alexandrowna gingen zum Markt und brachten Gemüse und Obst mit. Seine Mutter bestand darauf, beim Mittagessen zu helfen, verschwand dann aber leise und überließ Alisa die ganze Arbeit. Am Sonntagabend beschloss Alisa, ein besonderes Abendessen zuzubereiten — Braten mit Kräutern, Georgiys Lieblingsgericht. Während der Ofen funktionierte, machte sie hausgemachte Limonade.
«Ich bringe ihnen die Getränke», sagte Alisa zu sich selbst und füllte hohe Glasgläser mit dem duftenden Getränk. «Vielleicht lockert das die Anspannung ein wenig.»
Sie trat auf die Veranda hinaus und trug das Tablett mit den Gläsern. Die Abendsonne vergoldete das Holzgeländer. Georgij und Nina Alexandrowna saßen mit dem Rücken zur Tür und bemerkten die Annäherung der Gastgeberin nicht. Alisa verlangsamte ihr Tempo, als sie ihren Namen hörte.
«Hast du dich schon entschieden?» die Stimme ihrer Schwiegermutter klang eindringlich. «Weißt du, du kannst das nicht in die Länge ziehen.»
Georgiy schwieg und zog an der Kante des Tischtuchs.
«Ich mag dieses Haus wirklich», drückte Nina Alexandrowna weiter. «Sohn, übertrage es auf meinen Namen! Gib ihr einfach die Vollmacht. Wir werden es leise tun. Ich brauche dieses Haus mehr als sie.»
Alisa erstarrte. Die Luft blieb in ihrer Brust hängen und weigerte sich zu gehen. Unwillkürlich lockerten sich ihre Finger und das Tablett krachte auf den Holzboden der Veranda. Glas zersplitterte in alle Richtungen, Limonade spritzte auf die lackierten Planken. Georgij und Nina Alexandrowna drehten sich gleichzeitig um. Das Gesicht seiner Mutter zeigte Schock, der schnell durch vorgetäuschte Besorgnis ersetzt wurde.
«Schatz!» sie weinte und sprang auf. «Hast du dich geschnitten? Lass mich helfen!»
«Komm mir nicht zu nahe», streckte Alisa ihre Hand vor sich aus. «Ich habe alles gehört.»
Alisas Augen schossen blitzartig. Sie richtete ihren Blick auf ihren Mann, der mit gesenktem Kopf dasaß. Seine Schultern sackten zusammen und seine Finger verdrehten nervös das Tischtuch.
«Georgiy», erklang Alisas Stimme vor Spannung. «Hast du etwas zu sagen?»
«Alisochka, du hast es falsch verstanden!» Nina Alexandrowna plapperte. «Wir haben nur hypothetisch gesprochen …»
«Ich rede nicht mit dir», unterbrach Alisa sie scharf und ließ ihren Mann nicht aus den Augen. «Georg?»
Stille hing zwischen ihnen wie ein schwerer Vorhang. Nur das Rauschen des Windes in den Blättern und das ferne Krächzen der Krähen durchbrachen die Stille.
«Sohn», sprach Nina Alexandrowna erneut, trat auf Georgij zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. «Du wirst mich nicht verlassen, oder? Verstehst du, wie sehr ich deine Unterstützung brauche?»
Georgiy hob langsam den Kopf. Seine Augen trafen Alisas, voller Schmerz und Scham.
«Mama», seine Stimme war leise, aber fest. «Ich liebe dich. Du bist meine Mutter und ich werde immer auf dich aufpassen.»
Nina Alexandrowna lächelte triumphierend und warf Alisa einen siegreichen Blick zu.
Georgiy stand vom Stuhl auf und fuhr fort:
«Aber ich liebe Alisa mehr. Und ich werde nichts tun, was ihr wehtut.»
Das Lächeln verschwand aus Nina Alexandrownas Gesicht. Flüsterte sie:
«Was sagst du, Sohn?»
«Ich sage, du musst deine Sachen packen und gehen», sagte Georgiy fest. «Und komm nicht hierher zurück. Zumindest nicht, bis du dich bei Alisa entschuldigst und verstehst, dass es nichts Wichtigeres gibt als die Familie, die ich geschaffen habe.»
«Familie?!» Nina Alexandrownas Augen weiteten sich vor Wut. «Und wer bin ich dann? Gehöre ich nicht zur Familie? Ich, der dich geboren und aufgezogen hat!»
«Mama», Georgiy schüttelte den Kopf. «Du hast versucht, mich dazu zu bringen, meine eigene Frau zu täuschen. Um ihr Haus wegzunehmen. Und das ist nicht das erste Mal, dass du versucht hast, mich zu manipulieren.»
«Sie hat dich verändert!» Nina Alexandrowna schrie und zeigte mit einem zitternden Finger auf Alisa. «Es ist alles ihre Schuld! Sie hat dich gegen deine Mutter aufgebracht! Verdammt noch mal!»
«Genug», hob Georgiy die Stimme und seine Mutter blieb stehen. «Ich höre mir das nicht mehr an. Entweder entschuldigst du dich, oder du gehst sofort.»